Aufruf zur Suche nach einem verschollenen Pilger-Druck

Der folgende Text nimmt eine Anregung der Lüneburger Tagung auf, über die im letzten Blog berichtet wurde. Gegenwärtig wird das Bild der Santiagofahrten von jenen Pilgern bestimmt, die sich zu Fuß auf den Weg nach Nordspanien machten und machen. Aus Norddeutschland kennen wir allerdings aus dem späten Mittelalter keine Person, über deren Reise auf dem Landweg zum Grab des Apostels Jakobus Genaues bekannt wäre. In den historischen Quellen dominieren jene Reisenden, die sich mit dem Schiff – etwa von Antwerpen, Hamburg oder Stralsund aus – auf den Weg durch die Biskaya nach La Coruña machten. Von dem Atlantikhafen aus war Santiago bequem in zwei Tagereisen zu erreichen. Aber waren seit dem späten 14. Jahrhundert tatsächlich alle norddeutschen Santiagopilger, die sich dies leisten konnten, mit dem Schiff nach Santiago unterwegs? Bei der Diskussion dieser Frage wurde auf der Tagung an eine wichtige Quelle erinnert, die schon lange als verschollen gilt, an deren endgültigen Verlust wir aber noch nicht glauben wollen: 1518 stellte der Braunschweiger Drucker Hans Dorn einen niederdeutschen Santiago-Pilgerführer mit dem Titel „De overen unde meddelen straten van Brunswygk tho sünte Jacob in Galicien/ tho Compostella/ Anderwerff gecorregeret/ vnde mit mehr thogesatten“ her. Der Autor oder zumindest der die Textvorlage verbessernde Bearbeiter war Gerdt Helmich, einer der Älterleute der Bruderschaft St. Jacobi an der Hildesheimer Andreaskirche. In der Forschung wurde immer wieder vermutet, dass es sich bei diesem DRuck um die Bearbeitung des von dem Servitenmönch Hermann Künig von Vach verfassten Pilgertextes „Die walfart vnd Straß zu sant Jacob“ handelt, der 1495 erstmals in Straßburg gedruckt wurde. Ob dies zutrifft ist aber fraglich.

Titelblatt des Straßburger Erstdrucks des Pilgertextes von
Hermann Künig von Vach nach dem einzigen erhaltenen Exemplar der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, 8° Inc 2544
(Das Digitalisat des gesamten Druckes ist erreichbar unter: http://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB0000CDB300000000)

Der Braunschweiger Geistliche und Chronist Philipp Julius Rehtmeyer scheint der letzte gewesen zu sein, der ein Exemplar dieses Druckes benutzte. Er teilte 1720 in seiner Braunschweiger „Kirchen-Historie“ 1720 mit, man könne aus ihm erfahren, „wie solche Reise von Braunschweig ab, über Cölln am Rhein, bis nach Paris und endlich Compostell am besten fast von Tage zu Tage, von einem Ort zum andern könte angerichtet werden“.

In der niederdeutschen Bibliographie von Conrad Borchling und Bruno Claussen aus dem Jahr 1931 (1. Band, Nr. 613) wird der Druck als „verloren“ gebucht und auch das umfangreiche Projekt der deutschen Nationalbibliografie für das 16. Jahrhundert (VD 16) hat bislang kein Exemplar ausfindig machen können. Angesichts dieser Situation wäre es ein Glücksfall, wenn doch noch ein Exemplar des Braunschweiger Pilgerführers auftauchte. Ganz ausgeschlossen ist dies aber nicht, denn die Bestände von kleineren Bibliotheken und Sammlungen sind in ihrer Mehrheit vom VD 16 bibliographisch noch gar nicht erfasst. Wer daher auf eine Spur des verschollenen Druckes stößt, gebe über einen Kommentar oder die Kontaktadresse des Projektes Bescheid. Ein wiedergefundenes Exemplar erhielte – nicht nur in der Ausstellung – einen Ehrenplatz!

Hartmut Kühne

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