In den 1990er Jahren sollte nordöstlich von Bad Münder der „Deister-Park“ entstehen – inzwischen gilt das Projekt als Fehlplanung, an die man sich in der Stadt ungern erinnert. Einzig für die Wallfahrtsforschung brachte die Baustelle einen Erkenntnisfortschritt mit sich, denn auf dem geplanten Baugelände wurden durch eine Geländeprospektion die Grundmauern einer um 1500 entstandenen Wallfahrtskapelle entdeckt.
Auch wenn die Existenz der einstigen Annenkapelle wohlbekannt und ihr Abriss zur Gewinnung von Baumaterial im Jahre 1591 durch eine landesherrliche Anweisung dokumentiert war, löste die Ausgrabung der Anlage im Jahre 1999 doch eine kleine Sensation aus, war es doch seit Jahrzehnten die einzige Grabung in Niedersachsen, die einen ehemaligen Wallfahrtsort wieder zum Vorschein brachte. Eifrige Heimatforscher begleiteten das Geschehen vor Ort mit Enthusiasmus. Die Grabung brachte nicht nur die Grundmauern des Kapellenbaus zu Tage, sondern auch die einer Häuserzeile mit sechs Gebäuden, die dem Personal der Kirche zur Wohnung und den Besuchern als Schenke und möglicherweise auch als Herberge dienten.
Der außerordentlich dynamische Besuch dieses Wallfahrtsortes fand mit der Reformation freilich ein rasches Ende – und auch die von der Ausgrabung befeuerte Publikationswelle in den ersten Jahren des 21. Jahrtausends ist schon lange abgeebbt.
Aber nun gibt es Neues zu berichten: Wir kennen endlich jene Pilgerzeichen, die in der Annenkapelle verkauft wurden und können uns damit ein Bild von dem hier einst verehrten Gnadenbild machen. Auslöser dieser Entdeckung war ein 2013 in Hamburg-Harburg bei archäologischen Grabungen entdecktes Pilgerzeichen mit der Darstellung einer stehenden Anna Selbdritt.
Der Harburger Fund hat große Ähnlichkeit mit einem bereits vor einigen Jahrzehnten im niederländischen Nieuwlande entdeckten Zeichen, das man bisher als Insignie der Wallfahrt zu Sint Anna ter Muiden in Zeeland missdeutet hatte. Daher wurde das Harburger Stück auch mit dieser Identifikation publiziert. Eine Überprüfung der Inschrift im Rahmen unseres Projektes stellte aber klar, dass es sich um ein Zeichen der hl. Anna „vor de stat mundere“ handelt. Das Wappenschild mit dem stehenden Löwen erinnert an den ehemaligen Landesherren, die Fürsten von Lüneburg.
Die neue Identifikation des Zeichens ist eindeutig. Wird sie auch neue Einsichten zur Wallfahrtsgeschichte von Bad Münder anregen?
Hartmut Kühne