Pilger-Tätowierungen aus Jerusalem

In der Altstadt Jerusalems, in einer Gasse gleich hinter dem Jaffator, findet man das Tattoo-Studio Razzouk. Mag die Eigenwerbung mit einer siebenhundertjährigen Firmengeschichte auch etwas übertrieben sein, so führt der heutige Inhaber Wassim Razzouk zweifelsohne eine Tradition fort, die sich in Jerusalem seit dem 16. Jahrhundert durch Quellen belegen lässt. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts berichteten westeuropäische Jerusalem-Pilger erstmals darüber, dass sie sich als Zeichen ihrer Pilgerfahrt tätowieren ließen. Der erste bekannte Fall war der kaiserliche Rat Alexander von Pappenheim, der Jerusalem 1563/1564 besuchte. Er ließ sich in Jaffa ein Kreuz auf den Oberschenkel stechen. Ihm folgten besonders im 17. Jahrhundert viele andere Reisende, deren Tätowierungen wir in einzelnen Fällen auch durch Abbildungen kennen. Einer von ihnen war der Hamburger Ratge Stubbe, über dessen Reise mehr in der künftigen Ausstellung in Lüneburg zu erfahren sein wird.

Der Verfasser vor dem Tattoo-Studio in der St.-Georgs-Gasse der Jerusalemer Altstadt im Februar 2019

Europäische Pilger waren freilich nicht die Einzigen, die sich dieser Form der Körpermodifikation unterzogen. Vor allem armenische und koptische Christen brachten häufig ein solches Zeichen von ihrem Besuch der Heiligen Stätten mit. Auch die Vorfahren Wassim Razzouks kamen als Kopten im 18. Jahrhundert aus Oberägypten nach Jerusalem. Der Großvater Jakob besaß in den 1950er Jahren noch fast 200 aus Olivenholz gefertigte Stempel mit unterschiedlichen Motiven, die zum Teil noch aus dem 18. Jahrhundert stammten. Mit deren Hilfe ließ sich das zu tätowierende Motiv als Vorzeichnung rasch auf die Haut aufbringen. Denn das Tätowieren war ein Saison- und Stoßgeschäft: Vor allem um das Osterfest kamen große Pilgergruppen aus Ägypten, die sich während ihres Aufenthaltes in Jerusalem von der Familie Razzouk tätowieren ließen. Diese Nachfrage brach freilich nach dem Sechstagekrieg von 1967 ein, da Ägypter zunächst nicht mehr nach Israel reisen konnten.


Tätowier-Stempel mit dem Heiligen Grab und einer lateinische Buchstaben nachahmenden Umschrift

Umso erfreulicher ist es, dass diese Tradition nicht abbrach. Auch wenn Wassim Razzouk heute nur noch über einen Teil der historischen Holzstempel seines Großvaters verfügt und einige seiner Werkzeuge moderne Repliken nach den Abdrücken der Originale sind, so ist der kleine Laden doch von einer eigenen Atmosphäre geprägt, für die der Geschäftsslogan „Tattoo with heritage“ steht.


Tätowier-Stempel mit dem Jerusalemkreuz und den drei Kronen sowie einem Stern für Betlehem

Inzwischen nimmt ein buntes und internationales Publikum die Dienstleistungen dieses Studios in Anspruch und Wassim Razzouk ist in der weltweiten Tattoo-Szene ein Begriff. Ihm ist für die Bereitschaft zu danken, uns vor Ort Auskunft zu seiner Arbeit und seiner Familie zu geben. Auch durften wir Filmaufnahmen machen, die ebenfalls in der Lüneburger Ausstellung zu sehen sein werden. Herrn Botschafter a.D. Dr. Mordechay Lewy, dem vorzüglichen Kenner und Wiederentdecker der Jerusalemer Pilgertätowierungen der frühen Neuzeit, danke ich für zahlreiche Anregungen und Auskünfte.

Hartmut Kühne

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