Schon lange waren Pilgerzeichen-Abgüsse auf den Glocken in den Dorfkirchen von Wittenförden (1473), Domsühl und Russow (1435) bekannt. Sie mussten aus einem Wallfahrtsort stammen, an dem der hl. Antonius verehrt wurde, da sie auf dem Querbalken die – zumindest in Russow gut lesbare – Majuskelinschrift „S’ ANTHONIUS“ tragen. Auch sind auf dem Schaft des Zeichens übereinander drei Taukreuze angeordnet.
Archäologische Untersuchungen des Landesamtes für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern (Landesarchäologie) bargen im Kloster Malchow (Mecklenburgische Seenplatte) einen Bodenfund. Auf seinem Querbalken ist nur der Anfang der Inschrift – „Sanct…“ – zu lesen. Auf dem Schaft erscheinen die drei Taukreuze. Ein weiterer Fund dieser Art liegt aus Danzig vor. Die Vermutung lag nahe, dass diese Zeichen aus der Antoniterniederlassung im mecklenburgischen Tempzin stammen könnten. Aber bisher fehlte dafür der Beweis.
Diesen erbrachten nun zwei archäologische Funde aus dem Stader Hafen. Sie lassen eine Inschrift in dünn eingeritzten Minuskeln erkennen, die lautet: „Sante T antonyo / to T dem T syn [Sankt Antonius zu Tempzin]“. Damit ist ihre Herkunft aus Tempzin sicher belegt.
Die 1222 in Tempzin, 20 km südöstlich von Wismar, gegründete Niederlassung des Antoniterordens blieb lange die einzige in Norddeutschland. Von hier ging die Gründung der Filialen in Mohrkirch (Morkaer) in Schleswig (1391) und Praestö (auf Seeland) in Dänemark (1470) sowie Frauenburg in Westpreußen (1514) aus.
Die Antoniterpräzeptorei von Tempzin, von Papst Bonifatius IX. 1399 und 1400 mit großen Ablässen ausgestattet, zog seit dem frühen 15. Jahrhundert Wallfahrer an. Neben weiteren bischöflichen Ablässen verhieß 1470 eine Bulle Papst Pauls II. den Besuchern des Ordenshauses einen fünfjährigen Ablass. Um 1500 erfuhr die Antoniterkirche unter dem Präzeptor Johannes Kran erhebliche Umbauten, an die eine Bauinschrift an der Südseite der Westfassade der Kirche erinnert und mit einem Wappen des Kran (Kranich) mit Taukreuz eingeleitet wird.
Nach testamentarischen Verfügungen aus Lübeck wurden seit 1415 Pilger nach „sunte Anthonius hove by der Wysmar“ (Antoniushof, Tönnieshof) entsandt. In Stralsund sind zwischen 1495 und 1501 vier Wallfahrten nach Antoniushof ausgeschrieben worden. Aus den umliegenden Hansestädten gab es zahlreiche testamentarisch verfügte Stiftungen an die Antonius-Bruderschaft in Tempzin, zumeist verbunden mit dem Wunsch, in das Gedächtnisbuch (denkeboek, ewighe doden bok) eingetragen und in das Seelgedächtnis aufgenommen zu werden. Aus der Stiftung des Wismarer Bürgers Johannes Schelp von 1411 sollen die Mittel für die Schaffung des heute im Staatlichen Museum Schwerin erhaltenen Passionsaltars der Tempziner Kirche stammen. Ein weiteres markantes Kunstwerk ist eine Antonius-Statue,die heute noch in der Kirche steht.
Die archäologischen Funde der Pilgerzeichen bestätigen nicht nur die aus den Testamenten und durch die Glockenabgüsse bekannte Attraktivität Tempzins als Wallfahrtsort in Mecklenburg, sie zeugen zugleich von einer weiten Bekanntheit im Nord- und Ostseeraum über Landes- und Diözesangrenzen hinaus.
Jörg Ansorge